KI, Musik und Natur – Die zukünftigen Herausforderungen des Künstlers

Wenn ich mich im Jahre 2020 umschaue, stelle ich fest, dass mich die Technologie schon mehr im Alltag beeinflusst, als ich es mir eingestehen möchte. Längst ist sie mehr als nur ein Werkzeug für mich. Teilweise lässt es mich mit dem Gefühl von Unvollkommenheit zurück, wenn ich ohne mein Smartphone aus dem Haus gehe.

Da ich mich im Schreibprozess für ein neues Album befinde, stellt sich mir als Musiker die Frage, inwiefern sich die Technik auf mein künstlerisches Schaffen und vor allem die Intention dahinter auswirkt.


Was ist die Aufgabe des Musikers, wenn künstliche Intelligenz die analytischen Fähigkeiten des Menschen in den Schatten stellen?


Schauen wir uns hierzu die Entwicklung des Menschen und der Maschine an: Die bisherigen Stärken des Menschen scheinen sich meiner Beobachtung nach durch seine Ausstattung mit der Hand, seinem Gehirn und die dadurch resultierende Fähigkeit zur komplexen Kommunikation auszumachen.

Bis zur industriellen Revolution hatten Handwerk und körperliche Arbeiten noch einen höheren Stellenwert. Mit seiner Hand und seinem Verstand baut der Mensch Häuser und schafft Dinge, die es vorher so nicht gab. Er grenzt sich hierdurch von der Natur ab. Stelle ich mir das Gegenteil von Natur vor, denke ich an die Stadt und alles durch den Menschen erschaffene (Autos, Häuser, Straßen, Maschinen etc.). Mit dieser Vorstellung würde ich mich selbst auch als Gegenstück zur Natur wahrnehmen. Somit gäbe es zwei Pole.

Mit der industriellen Revolution wird die Hand des Menschen ersetzt durch effizientere Maschinen. Die Energie, die man braucht, um Arbeiten auszuführen, wird nicht mehr vom Menschen aufgebracht, sondern durch die Nutzung von Brennstoffen von außerhalb. Seine einstige Stärke wird nun nicht mehr in dem Maße benötigt, da es zu einer enormen Effizienzsteigerung kommt. Die landwirtschaftlichen und handwerklichen Berufe fallen in den Hintergrund und der Verstand des Menschen ist in der Gesellschaft und Arbeitswelt präsenter.

Mit dem Beginn der digitalen Revolution muss der Mensch nun auch feststellen, dass der Computer schneller analysieren und rechnen kann als er selbst. Stephen Hawking hat in einem Interview bereits 2014 prognostiziert, dass die künstliche Intelligenz die des Menschen bald schon in den Schatten stellen werde. War seine größte Stärke doch bisher das Denken, so scheint er jetzt nur noch die Nummer zwei zu sein.

Doch was macht das mit meiner Selbstwahrnehmung?

Jetzt nehme ich drei Pole in der Außenperspektive wahr: Die Natur, den Menschen und die Technologie. Ich rücke als Mensch mehr in Richtung Natur, da ich der künstlichen Intelligenz das Analysieren und Rechnen überlasse. Damit werden wir in Zukunft viele Aufgaben abgeben und unsere Außenperspektive neu ausrichten müssen.


Was bedeutet das für mein künstlerisches Schaffen?


Auch hier stelle ich fest, dass die Technologie immer intensiver dazu genutzt wird, Musik zu schaffen. Durch das Internet wird es immer leichter, instrumentales und musikalisches Handwerk zu erlernen. Ich muss nicht mehr zwingend den Kurs eines Meisters besuchen, sondern kann mir auf seiner Homepage einen Video-Kurs herunterladen oder seine Streams und Videos nutzen, sofern er diese anbietet. Mit entsprechender Routine kann ich effizient die Techniken erlernen, die ich benötige, ohne dabei große Umwege und Fehler zu machen, die den Prozess verlangsamen. Als eigentliche Schwierigkeit empfinde ich es jetzt, mich auf einzelne Fähigkeiten, die ich lernen möchte, zu beschränken.

Virtuosität und Geschwindigkeit auf dem Instrument durchlaufen in meiner Wahrnehmung zur Zeit eine inflationäre Phase. Das Internet ist voll mit technisch brillanten Musikern. Viele der Techniken und Zaubertricks, die uns bei Musikern bisher erstaunten, sind nun alles andere als Mangelware. Zudem wäre es mir sehr einfach möglich, Soli auf 90% der Zielgeschwindigkeit einzuspielen und die restlichen 10% den Computer erledigen zu lassen. Dem Großteil des Publikums würde es nicht auffallen, behaupte ich.

Außerdem wird die Technologie schon lange genutzt, um Ungenauigkeiten zu begradigen. Rhythmus wird auf ein exaktes Raster gelegt, alle menschlichen Schwankungen ausgeglichen. Ebenso ist es in Echtzeit möglich, gesangliche Ungenauigkeiten in der Intonation eines Sängers oder einer Sängerin auszugleichen. Interpretiert hier die Maschine schon die Musik mit?

Je mehr ich darüber nachdenke, desto größer scheint mir die Macht des Algorithmus. Die oben angesprochenen primitiven Formen davon sehen wir bereits. In Zukunft könnte sich die Arbeitswelt und dadurch auch der Musikmarkt verändern. Der Algorithmus könnte beispielsweise die Anlage besser an den Raum anpassen als der Toningenieur oder den Live-Mix so für das Publikum mischen, dass eine Art „mittlere Hörzufriedenheit“ entsteht.

Nun stellt sich mir eine Frage:

Wenn das Handwerk des Musikers problemlos durch die Technologie ergänzt werden kann, wird der Musiker auch ein Stück näher in Richtung Natur rücken?


Natur in der Kunst und Musik?


Ich könnte alles, was Intelligenz und analytische Fähigkeiten benötigt, von der Musik entnehmen und schauen, was davon übrig bleibt. Dabei erkenne ich, dass beeindruckend viel bereits von Technik übernommen werden kann oder sich in Entwicklung befindet. Roboter können mittlerweile live performen. Selbst die Musik kann bereits von künstlicher Intelligenz geschrieben werden.

Ich vermute, dass alles übrig bleiben wird, was sich auf die empathische und emotional bewegende Wirkung in der Musik bezieht. Der Musiker komponiert seine Werke, um etwas auszudrücken. Andere Menschen empfinden eine Art Resonanzgefühl auf diese Musik. Häufig habe ich dieses Gefühl schon verspürt, als ich einen neuen Song gehört habe. Erst nach mehrmaligem hören habe ich mich mit dem Text auseinandergesetzt und festgestellt, dass der jeweilige Song genau auf meine aktuelle persönliche Entwicklung passt. Zumindest habe ich es so interpretiert.

Ähnlich wie auch der Satz „Das hast du ja echt gut hinbekommen“ sowohl positiv lobend als auch sarkastisch abwertend gemeint sein kann, so kann der Komponist auch sehr düster klingende Musik mit positiven Texten kombinieren. Durch die Kombination aus Komposition und Interpretation entsteht dann die emotionale Wirkung, die mich bewegt. Dabei meine ich mit Bewegung einen inneren Prozess, der mich persönlich zur Reflexion und Weiterentwicklung anregt. Ich denke, dass ist der Punkt, mit dem wir uns mehr als menschliches beziehungsweise natürliches Wesen wahrnehmen werden und uns von der Technologie abgrenzen.

Dennoch bleibt für mich die Frage offen, ob ein Computer die Schreibfeder des Musikers so ersetzen kann, dass er diesen Prozess beeinflusst. Ich bin sehr gespannt, ob die Technologie in der Lage sein wird, zwischen den Zeilen zu lesen und zu interpretieren.


Empathische Musik?


Dementsprechend scheint es mir heutzutage als Künstler sinnvoll, meine Energien nicht zu stark in Technik und Selbstverbesserung zu stecken. Natürlich sollte es weiterhin Bestandteil der Fähigkeiten eines Musikers sein. Den Flow zu spüren, während man schnelle Arpeggios spielt und die musikalische Wirkung in einem Song sind nicht zu ersetzen. Der Wert wird durch die oben genannte Inflation jedoch geringer. Möglicherweise wird er in Zukunft nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen. Doch was können wir der Gesellschaft als Musiker geben?

Mir scheint, dass sich der Mensch in vielen Teilen der Welt im Laufe der Zeit immer mehr von seinen Emotionen abgekapselt hat. Menschen mussten immer wieder Emotionen unterdrücken, um zu funktionieren. Man muss sich hier nur an den zweiten Weltkrieg erinnern, dessen emotionales Echo noch immer in die nächsten Generationen schallt. Der Befehl wird ausgeführt, egal, was es mit mir selbst oder anderen anstellt. Auch im Job und im Alltag müssen Menschen häufig funktionieren und ihre Emotionen beiseite schieben. Das scheint uns im Schulsystem schon früh anerzogen worden zu sein. Wie sinnvoll es jedoch ist, sich seines emotionalen Lebens bewusst zu sein, erkennt man meiner Wahrnehmung nach nur schleppend. Immerhin wird in Dänemark bereits das Fach „Empathie“ an Grundschulen gelehrt.

Dabei ist „emotionale Hygiene“ ein mehr als bedeutender Aspekt im Leben eines Menschen. Vor allem durch die Beobachtung meines emotionalen Zustandes kann ich mir bewusst werden, welche Widerstände ich im Leben habe und in welchen Kreisläufen ich festhänge. Unterdrücke ich Emotionen, bleibe ich unter Umständen im Leben stehen und verharre in sich wiederholenden Gedankenschleifen, die niemals durchbrochen werden.

Der erfolgreiche chinesische Unternehmer Jack Ma empfiehlt uns, weise zu werden, statt Wissen anzuhäufen. Und dies bedeute konkret, zwischen den Zeilen lesen zu können, empathisch zu sein und sich um seine eigene Entwicklung zu kümmern. Das deckt sich mit meiner Vermutung darüber, was in der Musik ohne die technischen Aspekte übrig bleiben wird.

Wie gehe ich mit Angst oder Frust um? Und wie verhindere ich, durch diese zu verbittern, das Leben aktiv anzugehen statt sich als Opfer zu sehen? Viele der Probleme, die heute diskutiert werden, führe ich auf Angst zurück. Vor allem die Angst vor einer Zukunft, die real nicht existiert.

Um sich um die eigene Entwicklung zu kümmern, brauche ich ein starkes inneres Auge auf meine Emotionen. Und hier kann sich der Künstler und sein empathisches Band einspannen. Er hilft, Emotionen aufzudecken, aufzuschlüsseln und sich selbst zu reflektieren. Er kann diesen Prozess vorantreiben. Durch Empathie. Das, was die Maschine (noch) nicht kann.


Werden Maschinen zukünftig dazu in der Lage sein, Emotionen soweit zu verstehen, dass sie sie künstlerisch verarbeiten können?

Was ist dazu von Nöten? Welche Fähigkeiten müssten Algorithmen und Sensoren besitzen, um emotionalen, psychologischen Mehrwert für Hörer zu erzeugen?

Sollten wir und wie können wir uns als Menschen, als Künstler und Erschaffer weiter davon abgrenzen? Wo werden die entscheidenden Fähigkeiten und Talente des Menschen zu finden und entwickeln sein, wenn die digitale Revolution weiter voran schreitet?

Bitte teilt eure Gedanken, Informationen, weiterführende Artikel und Ideen diesbezüglich mit uns.

Diese Fragen sind absolut entscheidend für unsere künftige kreative Arbeit und wir freuen uns über euren Input.

Simon


Simon is a professional guitarist living in Hamburg, Germany, He composes music for Soulsplitter and works as a session player and teacher. With his art he likes to link musical with scientific approaches and use these to develop new perspectives on composition and self-reflection.

Website: simon-kramer.com

4 Comments

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  1. Prosti 4 years ago

    Hi Simon, “Wo werden die entscheidenden Fähigkeiten und Talente des Menschen zu finden und entwickeln sein, wenn die digitale Revolution weiter voran schreitet?” Diese Frage, die Du gg. Ende Deines Posts stellst, hat sich mir geradezu aufgedrängt. Sie erscheint mir persönlich besonders wichtig. Besonders bedeutsam – und richtig – erscheint mir, dass Du bewusst nach dem WO fragst, und nicht nach dem WIE. Ich bin, generationsbedingt, ganz alte Schule. Üben mit ‘nem Zerrer vor’m Röhrenradio, raushören vom quitschenden Tape, im besten Fall von Platte, in Echtzeit. Ich habe noch nie am Computer etwas gespielt, weil sich das schlicht mit meinem Begriff von spielen nicht verträgt. Als mir ein Freund Anfang der 90er erkären wollte, was das Internet ist, habe ich ihm kein Wort geglaubt. Die digitale Revolution spielt(e) also keine allzu große Rolle in meinem Leben. Und dennoch: Auch ich brauchte regelmäßig Abstand. Abstand von meiner geliebten Musik auf hunderten Kassetten oder Platten. Abstand von der (wunderschönen) Stadt, in der ich lebte. Abstand vom Gitarre üben bis das Radio glüht (wörtlich!). Denn auch all das ist ja letztlich mit Technologie verbunden. Nach 6 Wochen Ostsee – wie freute ich mich auf “Creeping Death” von meinem Metallica Tape! Wie habe ich den Geruch der Stadt, das andere Licht förmlich in mich aufgesogen! Wie viele neue Ideen konnte ich auf der Gitarre ausprobieren! Ich glaube, Menschen, die völlig im Einklang mit der Nature leben bzw. lebten, brauchten und brauchen einen solchen Abstand nicht. Die oben zitierte Frage hat in mir das Bild eines Pendels bewirkt. Je weiter das Pendel zur einen Seite (digitale Revolution) ausschlägt, desto weiter in der anderen Richtung liegt möglicherweise der Ort, an den wir uns zurückziehen müssen, um unser Menschsein, unser Selbst, unsere Kreativität zu finden? Ich meine das jetzt gar nicht im esoterischen Sinn, sondern eher banal, ganz praktisch. Je mehr Technologie Du in Dein Leben und Deinen kreativen Prozess lässt, desto weiter musst Du Dich vielleicht von Zeit zu Zeit davon entfernen. Und da ein Pendel bekanntlich niemals an den selben Ort zurückschwingt, führ eine solche Reise stets an neue Orte. Und diese Orte, gegenüber der “Technologie-Seite” des Pendels sind es möglicherweise, wo die entscheidenden Fähigkeiten und Talente schlummern? So, und jetzt schreibst Du einen Song zum Thema “Pendel”. Setzen. 🙂

    • Author
      Simon 4 years ago

      Moin Prosti! 🙂 Ja, wo unsere Stärken liegen, wird definitiv eine spannende Frage werden. Ich denke, dass in der Kunst auch immer ein Spiegel der Gesellschaft erkennbar ist. Im Prinzip ist die Frage, worauf wir unseren Wert legen. Wenn wir mathematisch bis ins letzte Detail ausgearbeitete und durch Software geglättete Musik erschaffen, schaffen wir eine Verbundenheit zum logischen Aspekt des menschlichen Denkens. Aber wie gesagt, werden künstliche Intelligenzen uns da überlegen sein. Die Frage ist also, ob wir uns bewusst dazu entscheiden, uns diesen Spiegel vor unser Gesicht zu halten und uns damit identifizieren. Mischformen aus Technologie und menschlicher Emotionen in der Kunst sind auch möglich. Man setzt die technischen Möglichkeiten wie z.B. Autotune mittlerweile ja als Stilmittel ein. Bei solchen Technologien kommt mir dennoch die Frage auf, inwiefern man sich davon abhängig machen möchte.

      Die Pendelbewegung ist eine gute Vorstellung! Damit wirkt das Verhältnis von Mensch, Natur und Technologie nicht so statisch. Ich denke, das passt gut in die nächste Writing-Session! 🙂 Mir kam die Idee einer Art Etüde, bei der technische Lead-Gitarren mit emotionalen Harmonien und Streichern zusammenkommen. Quasi eine Symbiose zwischen Emotion und Logik, die durch geordnetes Chaos einen gemeinsamen musikalischen Zielpunkt erreicht. Mal sehen, wohin das führt 😉

  2. Toby 4 years ago

    “(…) many people in many parts of the world isolated themselves from their emotions to some extent.”
    This is absolutely true, and with that I suggest a fourth pillar, apart from your very fitting “Nature – Human – Technology”-Dynamic: Society. Society limits the freedom of the individual and shapes general perception by encouraging or enforcing the perspective of a majority or ruling force. While we find comfort in society and can absolutely crave human connection, the interpersonal and intersocietal relationships we build may vary by orders of magnitude. Humans are not designed to be exposed to as much information as we are today. A small group can seem comforting and trustworthy, while being isolated in a society may feel overwhelming and disconnecting. The larger the groups we form, the thinner the common core gets that all members of any given society share and which will shape future generations of these societies as the “proper” way to act, even though the individual perspective could differ greatly from that, and thus alienate individuals from the society it generates. And just with that, the imposed or imagined rules that limit our individual spirit in it’s expression and shape our conciousness clash with the roots of the human, which are still very much in nature. There is so much that technology was not able to free us from, and it is the most inherent flaw in AI as well: Operating on a set of rules, or generating a set of rules from a flawed system that can never represent every single aspect of any individual human because the perception of individual humans is gouverned by the rules of human society. That’s why I think we still have a long way to go before we can even consider AI to be a significant threat to individual artist’s crafts. The artistic merit still comes largely from novelty and the thoughts and worries the presence of AI in art implies, but once those are explored to a sufficient degree, there will be a long time until AI transcendes the human ability to emulate true individuality. Anyway, great thoughts and a good read! 🙂

  3. Fenix 4 years ago

    Hey Toby, thank you for your input!

    Society and culture are indeed hugely important factors to identity, habitual patterns and the filter through which reflection of individuals can take place. I see very very strongly how the paradigms of western societies (like the need to accomplish something at a young age or to maintain a certain status) impact me and my well-being, even though I intellectually revoked them long ago and would like to refuse to give them power over myself.

    I think the focus should shift way more towards small collectives and communities, where core values can be more specifically catered to the needs of the respective individuals and the environment rather than trying to fit whole nations, regions, classes etc. in one category…

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